Wieviel Zeit braucht eine Zunfthose?

 

Ganze siebenundzwanzig komma vier Minuten. Was gibt es zu tun? Zuschnitt mit Cutter, Schnittkanten versäubern, 2 Reißverschlüsse einsetzen, Seitentaschen mit 50 mm Leder paspelieren, Vordertasche und Seitennähte schließen, 2 x Zollstocktaschen einsetzen, Bundfutter einnähen, Hosensaum, Hose wenden, Taschenspiegel auf Taschenbeutel nähen, zweite Zollstocktasche, Leiste mit Leder einfassen, 6 Schlaufen nähen und schneiden, Paspel auf Gesäßtaschenbeutel nähen, Gesäßtasche einsetzen, Gesäßtasche schließen, 2 x Zollstocktaschen schließen, Seitennähte steppen, 12 Lederecken aufnähen, Schrittnaht schließen, 2 Bundecken zusteppen, Latz umsteppen, Schlaufen und Taschen riegeln, abzeichnen und 3 Knopflöcher, 3 Knöpfe annähen, Hose legen mit Etikett und Kontrolle, Logo an Zollstocktasche nähen.

Wer ist damit beschäftigt? Insgesamt 28 Personen. Wieviel Material wird verbraucht? 1,4 Meter Stoff, 365 Meter Garn, 12 Lederecken, 2 Reißverschlüsse, 3 Knöpfe, 1 FHB-Etikett, 0,5 Meter Futterstoff, 55 cm Leder-Paspelband, genäht in der Nähe von Bielefeld.

 

 


Was versteht man eigentlich unter Zunftbekleidung?

Früher und auch heute ist die klassische Zunftbekleidung besonders robuste Arbeitsbekleidung für die Hauptberufsgruppen des Handwerks, insbesondere Zimmerer, Dachdecker und Maurer. Hauptmerkmal dieser Bekleidung war und ist der besonderes schwere Stoff der Bekleidung. Zum einen der sogenannte Trenkercord oder früher auch Manchester genannt. Zum anderen der sogenannte Zwirn-Doppel-Pilot, auch gern als Englisch-Leder bezeichnet. Beide Stoffe wiegen deutlich über 500 g/m².

Eine Zunfthose zeichnet sich heute zudem auch durch seine charakteristischen zwei Frontreißverschlüsse aus. Früher hatten die Zunfthosen zwar ihre obligatorische Schlagweite, aber dafür einen normalen Hosenschlitz. Wann und wer auf die Idee kam, Zunfthosen mit zwei Reißverschlüssen auszustatten, ist uns nicht bekannt. 

 

 


Warum hat eigentlich eine Zunfthose zwei Reißverschlüsse?

Wir sind ehrlich. Leider haben wir für diese Frage keine Antwort, die wir auch wirklich belegen können. Unsere alten Fotos aus den 20er und 30er Jahren zeigen, dass die Zunfthosen früher keine 2 Frontreißverschlüsse hatten, sondern über ganz normalen Hosenschlitz verfügten. In der Regel hatten die Hosen aber einen Hosenschlag. 

In unseren Katalogen Mitte der 50er Jahren tauchen dann Hosen mit zwei Reißverschlüssen auf. Wir vermuten, dass es eher modische Gründe hatte, den Hosen dadurch einer kernigeren Ausdruck zu geben als das es wirklich praktische Gründe hatte, zwei Reißverschlüsse zu haben. Heute ist jedoch genau das, das hervorstechende Merkmal einer Zunfthose.


Was ist die Dreidrahtkette?

Im 18. Jahrhundert war Cord das Stöffchen der Schönen und Reichen. Nur Könige und gute betuchte Adelige konnten sich den edlen Rippensamt („cord du roi“, „corduroy“) leisten, der damals zumeist aus reiner Seide gewebt wurde. Statt des schönen Scheins brauchten die französischen Landarbeiter und die englischen Bergwerkarbeiter aber etwas Handfestes, etwas Derberes. Also entwickelten sie auf ihren Webstühlen einen robusten Cord. Mit dreifach gezwirnten Kettfäden, der Dreidrahtkette, fast so reißfest wie eine Kette. Mit bis zu 100 Schussfäden pro Zentimeter unheimlich florfest.

Damit war die erste „Schutzkleidung“ erfunden. Hosen aus diesem robusten Cord vermitteln dem Träger Sicherheit und – so scheint es – eine Portion Mut: Unter anderem trugen sie die Arbeiter, die die Bastille in Paris stürmten, die Matrosen, die sich bei Trafalgar schlugen, und der „König der Berge“, Luis Trenker, bei seinen Gipfelstürmen. Und alle kamen ans Ziel. Kein Wunder also, dass die Erfolgsgeschichte des Dreidrahtcords bis heute andauert. Die reisenden Gesellen wagen sich nur in diesem Stoff auf ihre Tippelei. Denn welcher Stoff sonst könnte drei Jahre und einen Tag pures Abenteuer überstehen?

 

 


Was ist Deutschleder?

Deutschleder ist wohl die bekannteste Mogelpackung aller Textilien: stark und fest wie Leder und doch „nur“ Baumwolle. Und das zu einhundert Prozent.

Deutschleder wurde regelrecht aus der Not geboren. Zu Zeiten der Industrialisierung entwickelten die Engländer das Vorgängergewebe, das „english leather“, um damit die Arbeiter an den Hochöfen vor Funkenflug zu schützen (und ganz nebenbei die wesentlich teureren Rindslederschürzen zu sparen). Den letzten Schliff gaben die Arbeiter ihrer Schürze durch eine Abreibung mit feuchtem Lehm.

Die Deutschen setzten noch einen drauf und entwickelten den Lederersatz weiter. Heraus kam ein besonders festes Gewebe mit ungewöhnlich starken Kettgarnen und einer hohen Dichte von Schussgarnen. Das Deutschleder war geboren!

Charakteristisch ist die glatte, leicht glänzende Außenseite und die angerauhte Innenseite. Deutschleder ist fast unverwüstlich und echt gewichtig mit satten 600 Gramm pro Quadratmeter. Ein Gigant eben. Nur in der Waschmaschine macht er sich klein: Wegen der Bindungsart läuft Deutschleder in der Weite zirka 4 Zentimeter ein.

 

 


Was ist ein Schacht?

Ab dem 12. Jahrhundert schlossen sich Handwerker zusammen, um ihre Interessen besser vertreten zu können. Sie machten bald alle Belange des Handwerks unter sich aus und regelten in den Zunftordnungen die Ausbildung und das Verhältnis von Meistern, Gesellen und Lehrlingen. Die Zünfte erstritten sich eine machtvolle Position in der mittelalterlichen Gesellschaft. Das Handwerk blühte.

Als die Zeiten schwieriger wurden, kam es zu Spannungen zwischen den Meistern und den Gesellen. Die wandernden Gesellen taten sich zu ersten Gesellenverbindungen zusammen, um sich in der Ferne gegenseitig zu helfen. Diese Bruderschaften lösten sich von den Zünften und entwickelten sich zu den verschiedenen Schächten. Die Gesellen brachten mit der Ehrbarkeit, einer speziellen Strickkrawatte, zum Ausdruck, zu welchem Schacht sie gehörten. Das konnte ziemlich wichtig sein, weil sich die Schächte wilde Schlägereien untereinander lieferten. Seit ihrer Entstehung kümmern sich die Schächte um die Wahrung der Traditionen und heutzutage auch besonders darum, das Gesellenwandern bei jungen Handwerkern wieder populärer zu machen.

 

 


Was ist ein Stenz?

Der Stenz ist der Wanderstock der reisenden Gesellen. Er ist aber mehr als nur eine Gehhilfe, nämlich ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Rituale untereinander. So klopfen Wandersleute beispielsweise mit ihrem Stenz zur Begrüßung dreimal auf den Boden. Jeder Stenz ist ein Unikat, das sich der Reisende in der Natur suchen muss. Seine auffällige Form erhält der Stenz durch eine parasitäre Schlingpflanze, meistens dem Geißblatt und durch die Schnitzkunst des Reisenden.

 

 


Was ist ein Charlottenburger?

Der Charlottenburger ist ein Tuch für alle Fälle. Darin verstauen die Gesellen ihr Hab und Gut während der Wanderschaft. Werkzeug, Waschzeug, Wäsche und was sonst noch benötigt wird. Wie man das 80 mal 80 Zentimeter große Tuch faltet, das bringen sich die Zunftgesellen untereinander bei. Andernorts nennt man den Charlottenburger auch „Berliner“ oder „Charly“.